Das Morceau de concert op. 94 von Camille Saint-Saëns (1835 - 1921) entstand 1887 kurz nacheinander in Versionen für Horn und Klavier bzw. Horn und Orchester; während der handschriftliche Klavierpart von Oktober 1887 datiert, ist als Abschlussdatum der Orchesterversion der 2. November jenes Jahres angegeben. Uraufgeführt wurde das Werk als Fantaisie – ein auf der Partitur vermerkter, später durchgestrichener Titel – dann am 7. Februar 1891 in der Salle Pleyel in Paris durch den Widmungsträger Henri Chaussier.
Saint-Saëns kannte Chaussier gut; bereits 1882 hatte er dem Hornisten seine Romance op. 67 gewidmet, als dieser als Solohornist im Orchester von Benjamin Bilse in Berlin tätig war. Die beiden Musiker pflegten in der Folge einen gelegentlichen Briefwechsel. Chaussier, obwohl nicht grundsätzlich gegen Neuerungen eingestellt, blieb doch stets der Tradition des Naturhorns verpflichtet und hielt die damit verbundene Spielweise in Ehren. Er vertrat deshalb die Haltung, ältere Musik müsse so gespielt werden, wie sie geschrieben worden sei, mit den von den Komponisten vorgesehenen, sich auf die Klangfarbe auswirkenden Naturhornbogen. In Berlin hatte er zudem auch die problematischen Seiten des in Deutschland fast ausschließlich verwendeten Ventilhorns kennengelernt und aus dieser Erfahrung die Idee eines nicht-transponierenden Instruments entwickelt: Während eines Aufenthalts in Deutschland, im Orchester von Herrn Bilse, war ich gezwungen, das Ventilhorn zu benutzen. Ich setzte mich also intensiv damit auseinander und störte mich oft an absurd anmutenden Transpositionen, da ich mich der deutschen Sitte anpassen musste, die darin besteht, jegliche Musik – auch die historische – auf dem F-Bogen zu spielen, derweil der Gebrauch der Hand im Schallbecher in diesem Land komplett abgeschafft ist. Dabei kam mir oft der Gedanke an ein Horn, das die klingende Tonhöhe spielt, [...]. (Notice explicative sur les nouveaux instruments en ut, Henri Chaussier, éditions Paul Dupont, Paris, 1889, Übersetzung D.A.)
Am 21. November 1886 hatte Saint-Saëns zur Feder gegriffen, um in der musikalischen Wochenzeitung Le Ménestrel das von Chaussier entwickelte System eines nicht-transponierenden Instruments zu verteidigen: Herr Henri Chaussier, Hornist, dessen virtuoses Talent weitherum bekannt ist, hat mich vor längerer Zeit über sein Reformprojekt bezüglich der Blasinstrumente in Kenntnis gesetzt, nämlich über die Möglichkeit, das System der transponierenden Instrumente abzuschaffen. Ich hatte ihn zu diesem Ziel, das sich mit meinen Ansichten deckt, sehr ermutigt. Seit langer Zeit erachte ich diese Praxis als barbarische Anomalie, die mit der Zeit verschwinden muss. Deshalb erlaube ich mir, die Aufmerksamkeit der musikalischen Öffentlichkeit auf die unternommene Reform zu lenken. [...] Die Instrumente von Herrn Chaussier sind nach C zurückgeführt und spielen – wie das Klavier oder die Geige – nach klingender Notation. Dieser Vorteil wird jedem leicht verständlich sein. (LeMénestrel, 21. November 1886, S. 408, Übersetzung D.A.)
Aus diesem Grund ist »die Hornstimme ohne Transposition, im Tenorschlüssel, eine Oktave höher als klingend, notiert«, wie ein Kommentar auf der ersten Seite des Morceau-Manuskripts angibt. »Sie kann auf dem chromatischen (Ventil-)Horn ausgeführt werden« – ist aber eigentlich für das omnitonische Horn von Chaussier gedacht.
Konstruiert von François Millerau, soll dieses Cor Chaussier sowohl wie ein Naturhorn, mit Korrekturen der rechten Hand im Schallbecher, als auch wie ein Ventilhorn gespielt werden. Drei Perinet-Ventile werden – wie gewöhnlich – durch die Finger der linken Hand bedient, ein zusätzliches zylindrisches Ventil durch deren Daumen. Wenig unterscheidet das Instrument auf den ersten Blick von einem Ventilhorn jener Zeit. Die Unterschiede liegen in den Verhältnissen der Ventile: während zwei Ventile das Instrument vertiefen – das erste um einen Ganzton und das vierte um zweieinhalb Töne – verfügt es daneben über zwei erhöhende Ventile. Das zweite Ventil erhöht um einen Halbton, das dritte um zwei Ganztöne. Der Grundgedanke dahinter ist, dass sich durch die Kombination dieser Ventile praktisch alle im Orchester nötigen Transpositionen erreichen lassen. Dieses Instrument – heute Teil der Sammlung des Musikinstrumentenmuseums in Brüssel – wurde 2009–2012 von der Firma Egger Blechblasinstrumentenbau (Basel) in Zusammenarbeit mit der Hochschule der Künste Bern im Rahmen eines vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten Forschungsprojektes nachgebaut.
Die Idee von Chaussiers Horn und des für dieses Instrument entstandene Morceau de concert ist es, das Spiel mit Ventilen und jenes der Hand im Schallbecher zu verbinden, was zahlreiche Kombinationsmöglichkeiten und klangliche Nuancen ermöglicht (unter www.hkb-interpretation.ch/projekte/cor-chaussier finden sich weitere Informationen zu diesen Fragen).
Interessant, wenn auch anekdotisch ist schließlich, dass Saint-Saëns im Manuskript des Werks – das übrigens über weite Strecken mit Abkürzungen notiert ist –die Form des Hauptthemas in letzter Minute (oder gar erst nach der Uraufführung?) umschrieb: die untere, heute bekannte Version ersetzte die durchgestrichene obere Version: