Camille Saint-Saëns (1835 - 1921) - Werke für Horn und Orgel (+ Gesang)
Es wird heutzutage gerne vergessen, aber Camille Saint-Saëns war von Haus aus Organist und verdiente sich so – zumindest in jüngeren Jahren – seinen Lebensunterhalt. 1851 schloss er seine Ausbildung am Pariser Conservatoire in der Orgelklasse von François Benoist mit dem Premier Prix ab und war in der Folge zunächst Titularorganist an der Kirche Saint-Séverin im Quartier Latin von Paris. Nach einigen Monaten, im Frühjahr 1853, wechselte er an die Kirche Saint-Merry auf der anderen Seine-Seite, beim Châtelet. Wohl in jenen Jahren komponierte er das Adagio und Andante für Ventilhorn und Orgel.
Das chronologisch zweite Stück dieses Bandes trägt den Titel Offertoire pour orgue et cor chromatique und ist unvollendet überliefert. Rätselhaft ist, weshalb Saint-Saëns diese vielversprechende Komposition nicht fertigstellte. Nichtsdestotrotz scheint das Werk durch Saint-Saëns persönlich aufgeführt worden zu sein, lautet doch eine handschriftliche Notiz des Verlegers Auguste Durand auf dem Autograph: »unvollendet, komponiert für Mr Halary und gespielt an der Orgel von Saint-Merry durch den Autor«. Angesichts der langen Orgelrestaurierung in Saint-Merry und der neuen Stelle, die Saint-Saëns im Januar 1858 antrat, könnte das liturgisch gedachte Offertorium demnach im Frühjahr 1855, zum Osterfest, komponiert und aufgeführt worden sein.
Saint-Saëns verließ seine Stellung in Saint-Merry Ende 1857; ab dem 1. Januar 1858 verfügte er in der Église de la Madeleine über ein originales Instrument von Cavaillé-Coll und war dort bis 1877 tätig. Als Organist an jener Kirche widmete er Jules Halary um 1860 ein weiteres Werk, ein Ave Verum für 2 Soprane, 2 Alti, Orgel et obligates Ventilhorn. Ein weiteres liturgisches Stück, ein Gloria Patri aus derselben Zeit und mit derselben Besetzung (allerdings nicht zwingend mit Ventilhorn – es gibt keine explizite Vorgabe und das Stück bedient sich vor allem der Naturtöne), liegt im Gegensatz dazu als Manuskript in der französischen Nationalbibliothek und wurde bis anhin nie veröffentlicht. Beiden Frauenchorsätzen verleiht das Horn eine besondere und feierliche Klangfarbe.
Claude Maury/Daniel Allenbach
Camille Saint-Saëns - Adagio und Andante für Ventilhorn und Orgel